Affenzirkus: Ein Turnier der anderen Art

Mitten im Weihnachtstrubel liefert uns Raphael eine Rückblick auf ein außergewöhnliches Sommerturnier:

Von gigantischen Bergen, festgesetzten Öltankern, dem gefährlichsten Flughafen der Welt und lächerlich hohen
Preisgeldern. In Gibraltar wird jährlich ein „international youth chess festival“ ausgetragen.

Darauf aufmerksam geworden, beschlossen ziemlich spontan Neuzugang Max und Raphael, zugegeben auch gelockt durch einem Preispool von 15000 Pfund, der in Deutschland undenkbar wäre.
Also wurden innerhalb einer Woche aus dem Urlaubsort das Hotel, Flüge und Fernbusse gebucht. Fragen über Fragen: „Wo ist Gibraltar, „Was ist Gibraltar überhaupt?“ mussten erst noch geklärt werden. Tatsächlich gehört das Land, welches nur ein Fünftel der Größe von Brackel (!) hat, und am südlichsten Ende Spaniens liegt, offiziell zu Großbritannien. Und der Ort hält, was er verspricht, ein skurrileres Turnier hätte man sich kaum vorstellen können.
Am 15. August ging es los. Als wir um drei Uhr Nachmittags ankamen, waren wir nach der Reise mit Auto, Flugzeug, Taxi, Fernbus und einem einstündigen Fußweg, mit Gepäck und Grenzkontrolle ziemlich platt. Angekommen begegneten uns die ersten Besonderheiten: Auf dem Fußweg überquerten wir einen Flughafen. Ja, einen Flughafen. Dieser besitzt eine nicht mal zwei Kilometer lange Landebahn, und weil das Land nun mal nicht so groß ist, müssen Fußgänger und Autofahrer eben mal auf einen vorbeifahrenden Flieger warten. Aufgrund der besonderen Bedingungen benötigen Piloten übrigens eine Sonderausbildung.
Dann folgte die nächste Überraschung. In dem Land, von dem aus wir Afrika sehen konnten, war die Sonne bereits untergegangen. Das liegt daran, dass unser Hotel im Schatten des 400m (!) hohen Felsen von Gibraltar liegt. Wir haben keinen Abend, die Westseite dafür keinen Morgen.
Am Ankunftsabend folgte schon das erste Event. Nach einer seltsamen Begrüßung ohne eine wirkliche Ansprache nahmen wir etwas übermüdet an einem Blitzturnier mit einem Preispool von 400 Pfund teil. Trotz guter Chancen reichte es in dem Turnier, bei dem vorher die Runden Anzahl nicht feststand, und letztendlich mit fünf Runden endete, für nichts Zählbares.
Am Abend erfuhren wir noch, dass ein von er USA festgesetzter Öltanker, über den die Presse weltweit berichtete, die ganze Woche in unserem Blickfeld blieb. Gibraltar hat eben viel Abwechslung zu bieten.
Zum Turnier lässt sich insgesamt feststellen, dass trotz durchwachsener Leistungen, bis zuletzt die Chance auf eine hohe Platzierung gewahrt wurde.
Derweil haben wir die Zeit mit dem Besuch des nahegelegenen Strandes, und vor allem des hoteleigenen Pools verbracht. Des weiteren gab es zwei Führungen. Die eine führte uns mit einem Bus den gigantischen Felsen hoch, wo eine einzigartige Affensorte, die Berberaffen lebten, welche daran gewöhnt sind, Kontakt zu Menschen haben, und pro Tag für hunderte Fotos herhalten müssen. Auch wir konnten es nicht lassen… Dann kamen wir noch in eine Höhle, die früher bei der Besatzung Gibraltars als Rückzugsort der Soldaten genutzt wurde. Aus dem Berg schauten Kanonen heraus.

Es gab auch noch eine Delfin Tour, die aber weit weniger beeindruckend war.
Schachlich gesehen hatte Raphael am letzten Tag die Chance nach ganz oben zu kommen und den geteilten ersten Platz zu erreichen. Das wäre nicht nur ein großer sportlicher Erfolg gewesen, sondern mit 1100 Pfund auch mit einem beachtlichen Preisgeld verbunden. Leider ging die Partie verloren und man rutschte ins Niemandsland der Tabelle ab. So ist das nun mal bei einem sechsstündigen Turnier. Auch für den mit 200 Pfund dotierten „Preis für die schönste Partie“ reichte es nicht. Abends gab es immerhin eine große Abschlussgala, bei der nicht nur Großmeister anwesend waren, sondern auch der gibraltarische Jugendchor auftrat und allgemein wurde ein ziemlich abwechslungsreiches Programm geboten.

Turnierleiter Peter Purland, Raphael und Elisabeth Paetz

Es fielen vor allem große Kontraste bei der ganzen Veranstaltung auf: Unterdurchschnittliche Schachspieler wurden wie Superstars behandelt, fein herausgeputzte Kellner brachten Getränke zum Tisch, andererseits gab es Aufzüge aus den 80er Jahren, die klimatischen Bedingungen im Turniersaal waren mäßig. Und was für uns als Deutsche sehr fremd erschien, es gab keinerlei Gefühl für Pünktlichkeit. Klingt klischeehaft, jedoch ist es auf Dauer durchaus nervig, wenn man um 15.00h unten ist, um zu sehen, dass der Busfahrer sich um 15.45h immer noch nicht dazu entschieden hat abzufahren.

Insgesamt kann man festhalten, dass die Veranstaltung, obwohl wir uns schachlich mehr erhofft hatten, viel für uns bereit hielt. Wir sind um eine Menge neuer Erfahrungen, die wir uns in dieser Form niemals erhofft hätten, reicher, und haben viel über verschiedene Kulturen und eine andere Seite Europas gelernt.
Ob wir nächstes Jahr wieder hinfahren, ist noch unklar, jedoch kann dieses Erlebnis jedem ans Herz gelegt werden, der bereit ist, für den Gewinn neuer Eindrücke einiges Geld zu bezahlen, viele Strapazen auf sich nimmt – und nicht auf den verlockenden Gewinn des Preisgeldes angewiesen ist.
Denn Gibraltar ist schon ein besonderer Ort!
Raphael Kracht